Wir freuen uns, dass die Diskussion zum Umgang mit Repression und offensiven Strategien aufgegriffen wurde und wir auf linksunten eine Antwort auf den Text des Solikreises gefunden haben:
Dieser Text ist als Antwort auf einen Beitrag der Soligruppe Aaron & Balu mit dem Titel „Einige Gedanken zu Deals und offensiven Strategien gegen Repression“ zu verstehen. Die dort vorgestellten Analysen sind absolut richtig, im Alltagsbetrieb einer linksradikalen Szene jedoch nicht gegenwärtig. Das könnte an ihrem geringen Organisierungsgrad liegen, der u.a. auch auf die kurze Verweildauer im Widerstandsmilieu zurückzuführen ist. Wäre es anders, wüssten mehr Menschen das ein Deal, neben einer etwas schnelleren Haftverschonung, in der jüngeren Vergangenheit kaum eine geringere Strafe eingebracht hat.
Die letzten Jahrzehnte haben das im Bereich des Vorwurfs „Schwerer Landfriedensbruch“ bewiesen. Der Strafrahmen vor dem Gericht in Moabit orientiert sich an der politischen Konjunktur der um ihre Kompetenz bezüglich innerer Sicherheit besorgten Landesregierung. Knallt es oft und heftig auf den Straßen, steigen die Strafen an, Haftbefehle werden schneller ausgestellt. Im Zusammenhang mit dem 1. Mai war das gut zu beobachten. Und es hat auch gewirkt, gemessen an der Anzahl immer noch aktiver ehemaliger Gefangener aus den Hunderten 1. Mai Prozessen.
Genau so verhält es sich mit den Autobrandstiftungen, die zu einer Belastung des Senats wurden. Hier ein kurzer Rückblick auf Deals, die bestimmt nicht mehr vielen Leuten heute bekannt sind.
Im Prozess gegen Det gegen Tobias und auch gegen Thomas wurden Strafen verhängt, die trotz eines Deals ziemlich hoch waren. In allen Fällen wären die Urteile ohne Geständnis kaum härter gewesen. Wenigstens von der Soligruppe für Thomas ist eine Auswertung erhalten geblieben, die das Problem sehr differenziert betrachtet.
Eine These dazu könnte sein, dass sich Leute nicht über den Grad der Konfrontation mit dem Feind bewusst sind oder das sie vereinzelt sind. Oder beides, was für die Szene symptomatisch ist.
Die AnwältInnen sollten es besser wissen, aber auch das ist kein Geheimnis, einige kämpfen während andere eher den Kompromiss suchen. Demnach wäre eine Wissensvermittlung in der risikobereiten Szene notwendig, die ein realistisches Verhältnis zum Knast ermöglicht und auch AnwältInnen meidet, die konfliktscheue Prozessstrategien prinzipiell bevorzugen. Nicht auf einen Deal ging in der heißen Phase der Autobrände Alex ein, die ebenfalls fünf Monate in Untersuchungshaft saß. Sie wurde freigesprochen nach mehreren hart geführten Prozessen, obwohl es anfangs nicht gut für sie aussah, hatten doch Bullen behauptet sie auf frischer Tat beobachtet zu haben.
Um auf einige Fragen im o.g. Text einzugehen wie, „Wird ihnen dadurch auf perfide Art und Weise eine Verantwortung gegenüber den Strukturen aufgebürdet, die sie nie freiwillig auf sich genommen hätten?“ – Nein, egal ob du ein Auto anzündest, auf Demos Steine wirfst oder dich vielleicht nur in der entsprechen Situation oder Szene bewegst, du musst für alles die Verantwortung (er)tragen können. Wenn du an kollektive Lösungen glaubst. Glaubst du an individuelle Lösungen und hast kein Vertrauen in dein Umfeld, dann stehst du eben wirklich alleine da. Auch der Prozess um die Breite Straße in Hamburg hat genau diese Defizite aufgezeigt. Die dort erfolgten Einlassungen (Zur Einlassung eines Beschuldigten im Breite Straßen Verfahren) werden sicher die Justiz in ihrer Strategie der Angstverbreitung und Zermürbung bestätigt haben.
Die Vorbereitung von unfriedlichen Demonstrationen oder anderen militanten Projekten sollte deshalb einher gehen mit der Schaffung eines Bewusstseins für Repression und der Kollektivierung von Problemen und deren Lösung. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Kleingruppe kann stärker sein als die Verlockung auf einen Deal vor Gericht einzugehen. Dann stellt sich auch nicht die Frage ob „die Soligruppe zum Beispiel „mit offenen Karten“ spielen und Inhaftierten sagen soll, dass sie will, dass diese ohne Geständnis daraus kommen?“, denn diese Entscheidungen würden dann gemeinsam getroffen, was ja im zu Grunde liegenden Fall von Aaron offenbar nicht so war. Natürlich gibt es Situationen, in denen ein Deal, der niemanden belastet und ohne Distanzierung läuft, juristisch gerechtfertigt ist und der politische Schaden, der ihm immanent ist in Kauf zu nehmen ist.
Untersuchungshaft als Druckmittel in politischen Prozessen ist nicht neu, Gruppen die organisatorisch und theoretisch viel weiter entwickelt waren als die heutigen Autonomen, mussten sich damit auseinandersetzen – zum Beispiel im RZ-Prozess. Auch in diesem Verfahren gab es Deals und Einlassungen, von dem damaligen Soli-Büro bekannt gemacht (Die Stille nach dem Deal) und von Klaus Viehmann nicht ohne Sarkasmus kommentiert (Kritische Anmerkungen zu den Einlassungen im Berliner RZ-Prozess).
Beide Texte gehen den gleichen Fragen nach, vor denen wir heute stehen, sind aber mit großer Wahrscheinlichkeit für Angeklagte und Soligruppen der letzten Jahre keine Entscheidungshilfe gewesen. Kollektive Handlungsstrategien zu entwickeln, wie es die Soligruppe Aaron & Balu vorschlägt, setzt das Wissen über vergangene militante Initiativen und deren staatliche Verfolgung sowie der juristischen und politischen Anti-Repressionsarbeit voraus. Nur das Vermitteln der eigenen Geschichte auch in diesem Bereich kann uns davon freisprechen, mit Mobilisierungen unvorbereitete Menschen zu verheizen und nur der ständige Diskurs über den Umgang mit Repression würde uns legitimieren, zum Beispiel dem EA nahe zu legen, nicht mehr mit konfliktscheuen AnwältInnen zusammenzuarbeiten.
Jetzt, im Vorfeld des G20 Treffens in Hamburg, wird wieder die Werbetrommel gerührt für radikale Widerstandsformen. Verlaufen diese Mobilisierungen erfolgreich und sollte es ordentlich knallen im Juli, werden mit Sicherheit Menschen der Justiz in die Hände fallen. Darum müssen wir dafür sorgen, dass nicht Leute unvorbereitet diesen Aufrufen folgen, so wie ein gewisser Fede aus Mailand im März 2015 nach Frankfurt gefahren ist, um sich später vor Gericht nicht nur auf einen Deal einzulassen sondern auch von allem zu distanzieren (Heiligt der Zweck die Mittel? Fede nach 11 Wochen U-Haft frei).
Gleichzeitig mit der Entwicklung von Militanz sollten Antireppressions-Gruppen das Wissen über unsere Gegner verbreiten und den Diskurs über den Umgang mit Repression in ständigem Fluss halten, damit nicht bei Verhaftungen alles wieder von vorne anfängt.
aus dem Umfeld der Tag X Mobilisierungen