Eigentlich hatte die Richterin angekündigt, dass sie den Prozess heute beenden wolle.
Doch dazu sollte es nicht kommen – und dies lag ausnahmsweise mal nicht an der ewig bohrenden Verteidigung. Doch von vorn:
Richterin startet absurd…
Gleich zu Beginn gab es eine Überraschung: Offensichtlich ist die Richterin von dem ganzen Prozess mittlerweile ziemlich genervt. Um das ganze abzukürzen und vielleicht auch aus Neid auf ihre Kollegin schielend, die Aarons Prozess am ersten Tag zum Abschluss bringen konnte, bot sie gleich zu Beginn, von sich aus einen Vergleich an.
Leider erwies sie sich dabei als etwas realitätsfremd. Statt, wie angemessen einen vollen Freispruch und als Entschädigung für die Umstände mindestens zwei Freikarten fürs Tropical Island anzubieten unterbreitete sie ein Angebot, das nur abgelehnt werden konnte: Völliges Geständnis in der Sache und als „Gegenleistung“ 1 Jahr und 5-8 Monate auf Bewährung sowie 100 Arbeitststunden. Und das nicht etwa für Sadri-Herzog oder die offensichtlich lügenden Polizeizeug_innen, sondern für Balu.
Dieses wurde dann auch ausgeschlagen, auch wenn sowohl von Seiten der Staatsanwältin, als auch der Richterin deutlicher Druck gemacht wurde.
….und die Staatsanwaltschaft setzt noch einen drauf
Und weil das Ganze noch nicht absurd genug war, setzte Sadri-Herzog noch einen drauf: Und so lernten wir heute Pit Frederick Weber kennen. Er scheint der neue Star der LKA-Castingshow „Such den Superzeugen“ zu sein und brachte als Eröffnungsgeschenk gleich noch einen komplett neuen Tatkomplex mit. Denn der Bereitschaftsbeamte der 23. Einsatzhundertschaft hatte angeblich auch das (Un)Vergnügen Balu an dem Tag zu kennenzulernen.
Und da Balu nicht der Balu wäre, den Polizei und Staatsanwaltschaft uns vormachen wollen, hatte der Zeuge danach Schmerzen im Genitalbereich und Balu seinen ersten Widerstand des Tages geleistet. Nur am Rande: auch der Zeuge Weber reiht sich ein in die Reihe der Beamten, die unverhohlen zugeben sich an dem Tag am anscheinend allseits beliebten Spiel „Schlag Balu“ beteiligt zu haben.
„Frei von der Leber weg“ Weber erzählt und erzählt und erzählt…
Allgemein war die Offenheit des Zeugen heute sehr erfirschend. So erzählte er zum Einen ganz unumwunden, wie er überhaupt auf Balu als Täter gekommen sei. Ganz unarrogant gab er zu, beim gemeinsamen Videoschauen Schützenhilfe von seinem Vorgesetzten Zugführer Vater bekommen zu haben. Damit der Beamte gar nicht erst auf die falsche Fährte geführt werden könne, gab der väterliche Zugführer den dezenten Hinweis „das ist der Beschuldigte XX“ und als kleine Gedächtnisstütze nicht nur den vollen Namen und das Geburtsdatum von Balu, sondern auch gleich noch die Daten seiner angeblichen Begleiterin, bevor sich der Zeuge Weber dann zurückzog um seine „persönlichen Erlebnisse“ dieses Tages niederzuschreiben.
Auch vor Gericht musste sich Weber nicht alleine fühlen, denn wie die ganze Zeit von uns beobachtet, bestätigte er heute das kollegiale Umfeld auch im Gerichtsgebäude. Ganz im Sinne der gebotenen Objektivität und Neutralität sitzen die Polizeizeug_innen während des ganzen Verfahrens in einem gemeinsamen Gemeinschaftszimmer. Dort reden sie ganz gesellig über dieses und jenes, zum Beispiel die Stimmung im Gericht – außer natürlich über den Sachverhalt. Denn wo kömen wir da hin, wenn die Zeug_innen sich etwa im Gericht noch absprechen würden…Insgesamt wurden heute zwei Polizeizeugen – die erwähnten Weber und Freyer – gehört. Zusätzlich gab es einige kleine Videosequenzen. Diese waren allerdings nur teilweiwse erhellend.
Zum Glück konnte der Beamte Weber aushelfen. Er kennt wohl ein noch besseres Video, dass ihm zwar vorliegt, aber nicht dem Gericht oder der Verteidung. Deswegen darf er auch nächstes Mal nochmal wiederkommen und dann schauen wir dieses mit ihm gemeinsam.
„Ja ist denn Vollmond?“ – Richterin neben sich
Hatten manche von uns am Anfang des Verfahrens den Eindruck, dass die Richterin zumindest versucht unparteiisch zu sein, zeigte sie sich heute von ganz anderer Seite. Nicht nur, dass sie den Tag mit dem oben genannten absurden Vergleichsangebot eröffnete. Auch während des Tages gebärdete sie sich etwas sonderbar. So gähnte sie laut und vernehmlich, während die Verteidigung an der Reihe war und drohte schon beim ersten Lacher aus dem Publikum den Saal komplett räumen zu lassen. Ziemlich gemein finden wir, schließlich machen wir das nicht aus Böswilligkeit – die Verhältnisse (in persona der Zeug_innen und Sadri-Herzog) zwingen uns einfach dazu…
Nicht nur ihre Geduld scheint momentan überstrapaziert – auch ihre Sinne beginnen ihr Streiche zu spielen, so sah sie heute als Einzige – ganz im Gegensatz zum Zeugen, der Staatsanwältin und aller anderen – irgendwelche Tritte auf den verwackelten Videos. Zum Glück hat sie ja ihre anscheinend besser ausgeschlafenen Schöffinnen dabei, die sie auch deutlich auf die reallen Verhältnisse hinwiesen („da ist nichts“). Hoffen wir, dass sie zum nächsten Prozesstermin ausgeschlafener ist. Balu ist es zu gönnen und wir wollen wieder lachen dürfen!
Stimmungskanone Sadri-Herzog
Nach ihrem Gastauftritt als Kabarettistin während ihres Plädoyers gegen Aaron sorgte sich Sadri-Herzog auch heute um die Stimmung. Und zwar explizit der Stimmung am 09.07. Unter dem Arbeitstitel „pöhse Autonome spielen Bürgerkrieg“ führten sie und der Zeuge Freyer heute ein Stück in vielen Akten vor. Wieder und wieder (und wieder) musste Freyer, von ihr gefragt, erzählen, wie schlimm er den Tag erlebt hätte. Dunkel war der Himmel vom Steinregen und sämtliche Pfandflaschen vom Nordkiez bis Neukölln wurden als Polizeiabwehrmittel zweckentfremdet. Wären wir nur dabeigewesen…Das Spiel hier Stimmung zu erzeugen ist offensichtlich. Fraglich ist nur, wer darauf hereinfallen soll – schließlich taucht der Tagesspiegel schon seit Ewigkeiten nicht mehr bei den hiesigen Prozessen auf.
Hass und So
Soweit so Schmierenkomödie. Doch zynischen Spass beiseite geht die Repression außerhalb des Verfahrens in aller Härte weiter. Diesen Montag (21.11.) wurde Thunfisch, eine weitere Genossin aus Münster, festgenommen und in U-Haft verschleppt. Momentan sitzt sie zum Zwischenstop in der JVA Hannover und soll am nächsten Dienstag nach Berlin-Lichtenberg ins Frauengefängnis überstellt werden.
Hass. Hass auf das Knastsystem, dass wieder und wieder unsere Freund_innen und Genoss_innen von unserer Seite reißt und einkerkert. Wut auf das staatliche System der Repression und seine Handlanger_innen, die in ihrere Unfähigkeit und blinden Raserei versuchen uns einzuschüchtern. Und glühender Widerstand von unserer Seite gegen diesen Versuch. Thunfisch, du (und viele andere Gefangene) bist nicht alleine! Wir hier erwarten dich voller Entschlossenheit und werden die Scheisse gemeinsam mit dir durchstehen.
Unserer Wut und Solidarität lässt sich auf vielen Ebenen artikulieren: Ob direkte materielle Hilfe für Gefangene und die Soliarbeit, ob Briefe/Fotos in den Knast, ob Besuche der Prozesse oder Artikulation von Protest an öffentlichen Orten, sowie natürlich der militante Gegenangriff auf Orte der Repression – Unsere Möglichkeiten sind vielfältig, es gilt sie auch zu nutzen.
Bleibt informiert:
aaronbalu.blackborgs.org
freethunfisch.blackblorgs.org
Und kommt zum nächsten Prozesstermin von Balu am 13.12. (kein Scheiß) um 10 Uhr wahrscheinlich wieder Saal 218 (Wilsnacker Strasse).
Eventuell findet der Prozess endlich in einem größeren Saal statt, checkt kurzfristig nach Updates.
ps: Eine kleine Bermerkung am Rande – Wir waren sehr unzufrieden damit, dass regelmäßig solidarische Menschen nicht in das Gerichtsgebäude kamen und dann wieder gehen mussten. Deswegen haben wir uns ein Rotationsystem ausgedacht, sodass alle zumindest Teile eines Prozesstages besuchen können.